Deutsch-tschechischer Journalistenpreis 2023 verliehen
(Prag) Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds hat am Freitagabend in Prag den Deutsch-tschechischen Journalistenpreis 2023 verliehen. Bei einem Festakt im Theater Studio Hrdinů wurden in Anwesenheit zahlreicher Journalisten, Ehrengäste und der breiten Öffentlichkeit aus beiden Ländern insgesamt neun Journalistinnen und Journalisten aus beiden Ländern von Vertretern der Jury gewürdigt und in Kurzfilmporträts vorgestellt. Neben dem Publikum im Saal konnten auch Fernsehzuschauer in beiden Ländern die Preisverleihung per Livestream mitverfolgen, sie wurde sowohl vom Tschechischen Fernsehen als auch vom MDR online übertragen.
Aus insgesamt 77 eingereichten Beiträgen wurden die Preisträgerinnen und Preisträger in den Kategorien Text, Audio und Multimedia ausgewählt: Martin Weiser (Reportér), Martin Nejezchleba (Die Zeit), Jakub Wehrenberg (Česká televize), Michael Billig / Marius Münstermann (ZDF), Veronika Kindlová (Tschechischer Rundfunk,) und Iris Milde (Deutschlandfunk Kultur). Den Sonderpreis „Milena Jesenská“ erhielt Denise Dismer (ARTE). Die Sonderauszeichnung für langjährige herausragende journalistische Tätigkeit ging an Till Janzer (Radio Prague International).
„Mit diesem Preis wollen wir vom Anfang an zum einen die wichtige Rolle hervorheben, die Qualitätsjournalismus für das gegenseitige Kennenlernen und Verständnis zwischen zwei Nachbarländern spielt. Und zweitens wollen wir einzelne Journalistinnen und Journalisten motivieren, häufiger auch Ereignisse und Debatten aus dem Nachbarland in den Fokus zu nehmen. Heute stehen wir gemeinsam vor einer Reihe von globalen Herausforderungen. Qualitätsjournalismus erst recht – in einer Zeit, in der Desinformation und künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch sind, verdienen gute Journalisten mehr denn je Unterstützung„, so die Direktoren des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds Petra Ernstberger und Tomáš Jelínek.
Die Preisverleihung wurde mit einer Keynote des Journalisten Petr Koubský (Deník N) eröffnet, eines der führenden Experten zum Thema künstliche Intelligenz und moderne Technologien in Tschechien:
„Noch letztes Jahr um diese Zeit war künstliche Intelligenz – falls wir überhaupt darüber nachgedacht haben – die Angelegenheit von jemand ganz anderem. Das hat sich grundlegend geändert. Für die Arbeit von Journalisten stellt KI heute neue Herausforderungen, Bedrohungen und Chancen dar. Wird sie die Texte für uns schreiben? Wird sie uns mit perfekt gefälschtem Videomaterial täuschen? Ja und ja – beides. Und das ist erst der Anfang.“
Der Deutsch-tschechische Journalistenpreis wird vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gemeinsam mit den Journalistenverbänden beider Länder (Deutscher Journalistenverband und Syndikát novinářů ČR) verliehen.
Die Preisträgerinnen und Preisträger
Kategorie Text
Mit dem tschechischen Preis in der Kategorie Text wurde Martin Weiser für seine am 8. Mai 2023 in der Zeitschrift Reportér erschienene Reportage Wie schwer es ist, in einem fremden Land Wurzeln zu schlagen [Jak těžké je zapustit kořeny v cizí zemi] ausgezeichnet. Darin führt uns der Autor parallel das Schicksal einer ukrainischen Familie, die vor dem Krieg im Jahre 2022 flieht, und die Geschichte einer sudetendeutschen Familie vor Augen, die nach Kriegsende 1945 die Tschechoslowakei verlassen musste und heute der ukrainischen Familie Zuflucht bietet. “Martin Weiser ist nicht in die Falle des Vergleichs unterschiedicher historischer Ereignisse getappt, sondern hat das getan, was das Verlässlichste und aus journalistischer Sicht Effektivste ist: Er hat sich auf die konkreten Schicksale konkreter Menschen konzentriert“, lobt Adam Černý vom tschechischen Journalistenverband Syndikát novinářů die Reportage in seiner Laudatio.
Der deutsche Preis in der Kategorie Text wurde Martin Nejezchleba für seinen Artikel Am Grab von Karel Gott verliehen, der am 1. Dezember 2022 in der Zeitschrift Die Zeit erschienen ist. Der Autor nimmt den Besuch am Grab von Karel Gott zum Aufhänger, um den Leser mitzunehmen auf eine Erkundungstour durch die jüngere tschechische Geschichte. „Martin Nejezchleba bietet den Deutschen einen neuen Blick auf den vermeintlich wohlbekannten Karel Gott, und er tut das in einem Stil, der unterhaltsam ist und die Lektüre zu einem Genuss und einer Bereicherung macht“, so Kilian Kirchgeßner, freier Korrespondent, in seiner Laudatio.
Kategorie Multimédia
In der deutschen Kategorie Multimedia wurden Michael Billig und Marius Münstermann für die Reportage Dreckige Deals mit deutschem Müll ausgezeichnet, die am 31.05.2023 im ZDF ausgestrahlt wurde. Die Reporter nehmen uns mit auf eine riskante Investigations-Reise auf den Spuren des schmutzigen Geschäfts mit illegalem Müll. „Michael Billig und Marius Münstermann versuchen, gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus Tschechien und Polen, mit außerordentlichem Mut und großer Präzision das verwickelte Beziehungs-Netz aufzudecken, in das diejenige, die mit Müll handeln, eingebunden sind. Damit zeigt diese Reportage auch, inwieweit die gemeinsame europäische Politik und die Institutionen, die für den Umgang mit dem Müll verantwortlich sind, funktionieren (bzw. nicht funktionieren).“, begründete die freie Journalistin Veronika Kupková, die Juryentscheidung.
Der tschechische Gewinner in dieser Kategorie ist Jakub Wehrenberg, er wurde für seinen Dokumentarfilm Postoloprty 1945 – česká odplata [Postelberg 1945 – die tschechische Vergeltung] ausgezeichnet, der am 08.11.2022 im Tschechischen Fernsehen gezeigt wurde. Der Autor bringt uns in seinem Dokumentarfilm die Hintergründe der düsteren Ereignisse nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahe, als in Postoloprty massenhaft deutsche Einwohner ermordet wurden. Peter Lange, ehemaliger Prag-Korrespondent für die ARD und für Deutschlandradio, begründete die Preisvergabe im Namen der Jury wie folgt: „Wehrenbergs Dokumentarfilm verknüpft die Spielszenen mit Aussagen eines Überlebenden, mit Analysen von Historikern und mit historischen Original-Aufnahmen. So ist sein Film zu der wohl schonungslosesten Aufarbeitung dieses Verbrechens geworden, die es bisher in Tschechien gegeben hat.”
Kategorie Audio
Den tschechischen Preis erhielt Veronika Kindlová für Ihren Beitrag Čeští Němci odsunutí do NDR [Vertriebene Sudetendeutsche in der DDR], der am 13. 5. 2023 im Tschechischen Rundfunk Český rozhlas Plus zu hören war. Die Autorin vollzieht in ihrem Rundfunkbeitrag mehrere Aspekte der „Umsiedlung“ tschechoslowakischer Deutscher nach, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins damalige Ostdeutschland kamen. „Wenn das Thema Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg zur Sprache kommt, denken wir meist nur an das Schicksal von Menschen, die im späteren Westdeutschland, hauptsächlich in Bayern unterkamen, wo sie sich politischer Protektion aus den höchsten Kreisen der Landesregierung erfreuen durften. Während dieser Aspekt in der tschechischen Debatte manchmal übermäßig präsent war und ist, erfuhren jene Sudetendeutsche, die in die sowjetische Besatzungszone gingen, nur geringes Interesse“, begründete Filip Nerad vom Tschechischen Rundfunk die Auswahl der Jury.
Der deutsche Preis ging an Iris Milde für Ihren Rundfunkbeitrag „Der Marsch nach Brünn. Eine deutsch-tschechische Versöhnungsgeschichte“, der am 24. 11. 2022 im Deutschlandfunk Kultur gesendet wurde. Mit ihrer Reportage begibt sich die Autorin gleichzeitig auf eine historische, politische, literarische- und sogar sehr persönliche Suche nach Gründen, Zeitzeugen und den Folgen der Vertreibung und des Brünner Todesmarsches von 1945. „Dank Iris Milde lesen wir in Dokumenten, hören Auszüge aus der literarischen Verarbeitung der Vertreibung, lernen Überlebende von damals und ihre Angehörigen kennen. Diese Versöhnungsgeschichte besteht aus einem immerwährenden Wechsel zwischen dem Blick in die Vergangenheit und dem heutigen Umgang”, sagte Bogna Koreng vom MDR in ihrer Laudatio.
Sonderpreis Milena Jesenská
Den Sonderpreis „Milena Jesenská“ erhielt Denise Dismer für den Dokumentarfilm Theresienstadt und das Lager. Maroder Gedenkort oder lebenswerte Stadt?, ausgestrahlt in ARTE am 27.09.2022. Denise Dismer macht sich in ihrem Film mit der Zeitzeugin Michaela Vidláková nicht nur auf in die Vergangenheit, sondern vor allem auch in die Gegenwart des Städtchens Theresienstadt. Die beiden treffen Alteingesessene ebenso wie Neu-Zugezogene, aktive Menschen, die versuchen, der Stadt neues Leben einzuhauchen. „Von der gründlichen Recherche über die ausgefeilte Dramaturgie bis hin zur einfühlsam geführten Regie – die Autorin dokumentiert die tragischen historischen Ereignisse anhand von dokumentarischen Filmaufnahmen aus der Zeit. Wertvoll ist vor allem die Art und Weise, wie sie die Zeitebenen verknüpft: Sie respektiert die Vergangenheit und verankert sie in der Gegenwart, sieht aber die Gestalt Theresienstadts in der Zukunft“, so Blanka Závitkovská, Auslandsredakteurin beim Tschechischen Fernsehen, für die Jury.
Sonderauszeichnung für langjährige, herausragende journalistische Tätigkeit
Die Sonderauszeichnung für langjährige herausragende journalistische Tätigkeit ging an Till Janzer, der seit 17 Jahren die deutsche Redaktion von Radio Prag international leitet und den Zuhörern Tag für Tag in deutscher Sprache das aktuelle Geschehen in der Tschechischen Republik nahebringt. „Sauber recherchiert, sachlich, informativ, sprachlich einwandfrei. Und dazu inhaltlich breit aufgestellt: Tschechische Innen- und Außenpolitik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Sport – ein kleines, aber feines Vollprogramm. Radio Prag, das ist öffentlich-rechtlicher Journalismus in seinem besten Sinn: Anspruchsvoll, aktuell und hintergründig, inspirierend, informierend und auch unterhaltend, dem Gemeinwohl verpflichtet, ein Dienstleister für das deutsch-tschechische Verhältnis“, lobte Jurymitglied Peter Lange, ehemaliger Prag-Korrespondent für die ARD und für Deutschlandradio.