Stolperstein für Pavel Tigrid
„Man kann immer etwas tun!“ – so das Motto von Pavel Tigrid. Und er hat wirklich viel getan. Für sein Land und für die Beziehungen mit den deutschen Nachbarn.
Vor dem Haus in der Kouřimská 5 hatten sich Dutzende Menschen versammelt, um des Publizisten, Schriftstellers, Dissidenten, Politikers und einstigen tschechischen Kulturministers Pavel Tigrid zu gedenken. Wir haben ihm unseren ersten Stolperstein gewidmet. Verlegt wurde er von seinen Kindern, den Töchtern Deborah und Kateřina und dem Sohn Gregory, der den feierlichen Moment mit folgenden Worten eröffnete: „Das Exil hat meinem Vater das Leben gerettet, er ist dem Holocaust nur knapp entronnen.“
Ins Londoner Exil floh Tigrid 1939, nachdem die Nazis die Macht ergriffen und den Zweiten Weltkrieg entfesselt hatten. Pavel Schönfeld stammte aus einer jüdischen Familie und war in Prag nicht mehr sicher.
„Wir sind gerührt und dankbar für diesen Gedenkstein vor dem Haus, in dem unser Vater vor dem Krieg als Student lebte. Für uns war es immer ein Rätsel, woher er mit 22 Jahren so viel Mut nahm, mit seinem Freund nach London zu fliehen. Schon 1939 wusste er, dass einen jüdischen Jungen hier nichts Gutes erwartete. Ein Großteil unserer Familie wurde 1942 in Konzentrationslager deportiert. Wir betrachten diesen Stolperstein als Gedenkstein für alle Schönfelds, die dort ums Leben kamen. Mit dieser Geste machen wir ihre Schicksale, ihre Namen und unsere Wurzeln wieder lebendig. Wir wünschen uns, dass das Andenken an unseren Papa nie erlischt“, so die persönliche Erinnerung von Deborah Tigrid-Marguerat.
Unmittelbar nach Kriegsende, im Juni 1945, kehrte Tigrid in seine Heimat zurück. Er leitete die Zeitschrift Obzory (Horizonte), in der er als einer der ersten die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei kritisierte. Mit seinen Ansichten und seiner antikommunistischen Haltung eckte er bald an. Im Februar 1948 ging er zum zweiten Mal ins Exil. Seine Stimme verstummte jedoch nicht, sondern wurde umso präsenter. Sei es bei Radio Free Europe in München oder in seiner Zeitschrift Svědectví (Zeugnis), die er in den Vereinigten Staaten gründete und ab den 1960er Jahren in Paris herausgab.
„Er kämpfte sowohl gegen die Nazis als auch gegen die Kommunisten. In den 90er Jahren half er gemeinsam mit Präsident Václav Havel, die deutsch-tschechischen Beziehungen aus einer Sackgasse zu führen. Für seine Gedanken und Taten haben wir Pavel Tigrid unseren ersten Stolperstein gewidmet“, erläuterte Geschäftsführer Tomáš Jelínek die Beweggründe des Zukunftsfonds.
In die Tschechoslowakei kehrte Tigrid gleich nach der Samtenen Revolution 1989 auf Einladung von Präsident Václav Havel zurück. Gemeinsam mit ihm leitete er den Versöhnungsprozess zwischen Deutschen und Tschechen ein, der ihm sehr am Herzen lag. Er war Mitbegründer des Zukunftsfonds wie auch des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums und beteiligte sich aktiv an der Gestaltung der neuen demokratischen Gesellschaft und Politik, in der er als Kulturminister tätig war.
„Wir stehen an einem außergewöhnlichen Ort und unser Stolperstein wird für immer an diesen außergewöhnlichen Menschen, Schriftsteller und Politiker erinnern. All das und noch viel mehr war Pavel Tigrid“, erinnerte unsere Geschäftsführerin Petra Ernstberger.
Es war der 51. Stolperstein, der im September in den Straßen Prags verlegt wurde – für diejenigen, die durch die nationalsozialistische Rassenideologie ums Leben kamen oder deren Leben dadurch geprägt wurden. Ihre Familien gedachten ihrer gemeinsam, und es war ein Treffen voller bewegender Geschichten. Unser Stolperstein für Pavel Tigrid ist ein weiterer, bleibender Stein im Mosaik der Projekte und Initiativen, die wir in diesem Gedenkjahr zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fördern.

















