Jan Hauer: Meine Leute, Geschichte(n) der Sinti in Tschechien
Jan Hauer erkundet in seinem Buch „Moji lidi“ (Meine Leute) die Wurzeln seiner Familie seit dem 18. Jahrhundert. Gleichzeitig enthüllt er die Geschichte und Kultur der von den Nazis verfolgten Sinti. Seine Publikation ist unser Projekt des Monats Oktober.
Jan Hauer wurde zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren. Während des Krieges wurden von den 6.500 im Protektorat lebenden Roma und Sinti 4.500 nach Auschwitz-Birkenau und Hunderte weitere in andere Konzentrationslager deportiert. Aus den polizeilichen Aufzeichnungen über die Zahl der Roma aus dem Jahr 1947 geht hervor, dass 583 ehemalige Häftlinge zurückkehrten.
Dreißig Jahre später begleitete Jan Hauer seinen Vater zu den Stätten der Vernichtungslager sowie zu Sinti, zu Überlebenden, um von ihnen Informationen über Mitglieder seiner Familie zu erhalten, die den Holocaust nicht überlebt hatten. Er bewahrte ihre Erinnerungen und sammelte Familienfotos und historische Aufnahmen. Je mehr er über die Geschichte seiner Community erfuhr, desto aktiver wurde er in der Öffentlichkeit. Er wurde zu einem wichtigen Vertreter der tschechischen und internationalen Sinti und Roma. Dies alles können Sie in der vom Kher-Verlag herausgegebenen und durch den Zukunftsfonds unterstützten Publikation nachlesen. Sie ist das Ergebnis der Zusammenarbeit dreier Redakteurinnen, die Jan Hauer während der Vorbereitung des Holocaust-Mahnmals der Sinti und Roma in Lety bei Písek kennenlernte und denen er von seiner weit verzweigten Familie und ihrer Vergangenheit erzählte.
Fotos: Barbora Votávová (Kher-Verlag) a Karel Kramář
„Jan Hauer äußerte den Wunsch, einen Teil seiner Sammlung zu veröffentlichen. Nach und nach entstand so die Idee eines gemeinsamen Buchprojekts, das auf der Sammlung von Fotos, Archivdokumenten und seinen Erzählungen basiert. Nach fast drei Jahren Arbeit wurde das Manuskript Ende August 2022 fertiggestellt. Nur zwei Wochen nachdem wir ihn mit dem gedruckten Exemplar besucht hatten, starb Herr Hauer“, schreiben die Herausgeberinnen in der Einführung zum Buch.
Die Sinti sind ein Teil der Roma-Bevölkerung in Mitteleuropa, eine der ältesten Gruppen auf tschechischem Gebiet, deren Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Ursprünglich waren sie Nomaden und ließen sich hauptsächlich in Deutschland nieder. Von den anderen Roma in der ehemaligen Tschechoslowakei unterscheiden sie sich durch ihre Sinti-Sprache, einen stark vom Deutschen beeinflussten Romani-Dialekt. Von den Nazis wurden sie aus rassischen Gründen verfolgt, als erste in Europa wurde der NS-Völkermord an den Sinti und Roma offiziell anerkannt.
Jan Hauer interessierte sich seit den 1990er Jahren für die Geschichte seiner Familie und der Sinti-Community. Er sammelte Fotos „seiner Leute“ aus den 1920er bis 1940er Jahren sowie Archivmaterial. So entstand eine wertvolle Dokumentation der Sinti-Minderheit der Vorkriegszeit, die Teil der Ersten Tschechoslowakischen Republik waren.
„Jan Hauer hat ein Werk hinterlassen, das wir getrost als ein kulturelles Kleinod und einen einzigartigen Beitrag zum Geschichtsbewusstsein unserer Gesellschaft betrachten können, in der die Sinti einen bedeutenden Platz einnehmen“, heißt es im Vorwort.
Eine ähnlich umfangreiche Sammlung von Sinti-Fotos aus der Vorkriegszeit wurde vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zusammengestellt und ist Teil einer Ausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, die dem Holocaust an den Sinti und Roma in ganz Europa gewidmet ist.
Jan Hauer hat das Erscheinen der Publikation im September 2024 nicht mehr erlebt. Um sein Andenken zu ehren, fand im Prager Institut der Pfadfinder (Skautský institut) eine festliche Buchvorstellung, eine Buchtaufe, statt, an der Familienmitglieder und die Öffentlichkeit teilnahmen. Tochter Marie Hauer und ihre Mutter Maria sowie Sohn Willy wählten Markus Pape, Journalist und Aktivist, Mitinitiator der Fotoausstellung „Die verschwundene Welt“ über das Leben der Roma und Sinti im Jahr 2007, als Taufpaten für das Buch aus. Wir glauben, dass diese Veröffentlichung dazu beitragen wird, dass die Sinti nicht aus unserer Geschichte und unserem kollektiven Gedächtnis verschwinden.